Magnetic Scrolls
Für viele Spieler war Infocom DER Textadventurespezialist. Zur Zeit der Entstehung gab es keinen Spielehersteller, der Infocom tatsächlich das Wasser abschöpfen konnte. 1984 formierte sich jedoch ein neues Unternehmen unter den Gründungsmitgliedern Anita Sinclair, Ken Gordon und Hugh Steers. Das britische Softwarehaus, mit der Zentrale in London, begann ihre Karriere mit der Entwicklung von Software für den Sinclair QL. Ken Gordon und Hugh Steers lernten sich bereits auf der Schule in Woolwich kennen. Beide hatten ein Faible für Dungeons&Dragons, wie so viele Programmierer aus dieser Zeit. Ebenfalls begeisterten sie sich für Zork aus dem Hause Infocom. Hugh entwickelte zu dieser Zeit seinen eigenen ersten Parser auf einem TRS-80, während Ken sich weniger damit beschäftigte und lieber seine Freizeit mit einem Mädchen namens Anita Sinclair verbrachte. Ken und Anita verbrachten immer mehr Zeit miteinander und erkannten, dass Computerspiele ein interessantes Geschäftsfeld sein könnte. Sinclair veröffentlichte die ersten Daten über ihren neuen 16bit-Computer Sinclair QL und beide stimmten darin überein, dass mit der Veröffentlichung eines neuen Modells auch die Möglichkeiten für ein junges Unternehmen vorhanden wären. Anita selbst hatte die nötigen Kontakte und zudem das Kleingeld zum Aufbau einer Firma. Ken wurde als erster Mitarbeiter, dank seiner Kenntnisse bezüglich der Programmierung von Parsern.
1986 | The Pawn | Adventure |
1987 | Jinxter | Adventure |
1987 | The Guild of Thieves | Adventure |
1988 | Fish Corruption |
Adventure Adventure |
1989 | Myth |
Adventure |
1991 | Wonderland |
Adventure |
Im Sommer 1983 mieteten die Drei im Südosten Londons ein Büro und suchten die Hilfe von Rob Steggles. Dieser sollte ihnen ein Szenario schreiben, auf dem das erste Spiel basieren würde. Steggles hatte genug Zeit, bevor er im Sommer des gleichen Jahres die Universität besuchen konnte und begann die Hintergrundgeschichte zu “The Pawn” zu schreiben. Jedoch entwickelte er die Geschichte nicht allein, vielmehr saßen sie zu viert stundenlang beisammen und überlegten sich die bizarrsten Ideen. Auf übergroßen DIN A1 Blättern schrieben sie dabei alle Einfälle auf und befestigten sie an der Wand, um nochmal dann in Ruhe die Ideen bewerten zu können. Wurde an diesen nichts mehr verändert setzte sich Rob Steggles und begann daraus eine Rahmenhandlung zu konstruieren. Allerdings änderte sich im Laufe der Programmierung einiges und so manches Rätsel wurde umkonstruiert um die Handlung aufrecht zu erhalten.
Einige dieser Ideen aus den ersten Gedankenspielereien wurden im Laufe der Zeit typisch für Magnetic Scrolls. Viele Spiele aus diesem Haus setzten auf etliche Klischees, die allerdings oft in entgegengesetzter Weise dargestellt oder verwendet wurden. Der strahlende Held war im Grunde nicht sehr helle, die Prinzessin hatte Gewichtsprobleme und noch etliche mehr.
Im Gegenzug spielten sie viele Titel der Konkurrenz und ärgerten sich über Parser, die ständig wiederholten, das dieser oder jener Befehl nicht funktionierte. “Du kannst das nicht untersuchen” war die häufigste Phrase, die sie lesen mussten und Magnetic Scrolls entschloss sich, dass dies bei ihren Spielen nicht passieren würde. Folglich wuchsen die eigenen Spiele im Umfang erheblich an, versuchten sie doch wirklich alles innerhalb der Spielwelt zu beschreiben, was in den Texten, die das Programm dem Spieler zur Orientierung gab, beschrieben war. Untersuchte man die eigene Hosentasche bekam der Spieler folgenden Text: Loser Beutel, der in die Hose gesetzt wurde. Kens Lieblingsbeschreibung war allerdings die der Karotte: “Ein konisches, oranges Gemüse, weisst Du denn gar nichts?“
Das Unternehmen bemühte sich, dass die Adventures mehr als einen Lösungsweg bereithielten: das Spiel wurde dadurch dynamischer und hatte auch bei einem zweiten Durchgang neues zu bieten. Zudem sollte das auch Spieler, die ein Rätsel nicht lösen konnten, motivieren an anderer Stelle das Problem in den Griff zu bekommen.
Schlussendlich war Magnetic Scrolls darauf bedacht, jedem Charakter seine eigene Sprechweise zu gestatten. In vielen anderen Textadventures wurde zwar Wert auf die Geschichte gelegt, die Personen jedoch besaßen alle die gleiche Sprechweise. Hier setzte man an und entwickelte für jede Person einen eigenen Sprachstil und intensivierte das Spielerlebnis ungemein.
Nachdem Steggles seinen Teil zu The Pawn beigetragen hatte und endlich die Universität besuchte verlor er keinen Gedanken mehr an das Spiel. Erst als er in den Weihnachst- und später in den Osterferien seine Freunde besuchte bemerkte er den grundlegenden Unterschied zwischen den Spielen der Konkurrenz und Magnetic Scrolls: Anita und ihre Männer hatten in dieser Zeit Bilder des Künstlers Geoff Quilley in das Spiel integriert und gaben dem Spiel (und der Firma) eine besondere Note. Statt nur mittels Text die Umgebung zu beschreiben, konnte der Spieler nun auch “sehen”. Das Unternehmen hatte diese Bilder erst auf dem Atari ST eingebaut, da dieser grafisch weitaus leistungsfähiger war als der Sinclair QL . Die Handlung von The Pawn spielte in der mystischen Welt von Kerovnia und man war gezwungen einen Weg zu finden diese Welt zu verlassen.
Steggles kam auch zur vorlesungsfreien Zeit im Sommer 1984 wieder zu Magnetic Scrolls, auch weil er sich nebenbei etwas Geld verdienen wollte. Ken und Anita stimmten zu, forderten aber ein echtes Fantasyszenario mit mehr Rätseln, aber weniger Charakteren (Magnetic Scrolls empfand das als zu kompliziert). Der wichtigste Punkt war jedoch, das keine Raumbeschreibung mit den Worten “Du befindest Dich…” oder “Du bist in…” beginnen sollte. Steggles stimmte zu, auch wenn er nicht begeistert war erneut ein Fantasyszenario entwickeln zu müssen. Bereits am nächsten Tag kam er mit einem Skript über vier Seiten, das bereits das fast fertige Skript zu Guild of the Thieves darstellte. Nur wenig wurde an der Story und den Puzzles geändert.
Magnetic Scrolls besaß nun zwei Szenarios, ein unfertiges Spiel, aber noch keinen Umsatz. Sämtliche Anstrengungen wurden unternommen, um zumindestens ein Produkt auf den Markt zu werfen. Erst 1985 veröffentlichten sie The Pawn, jedoch nur auf dem Sinclair QL. Diese Version kam auf zwei 3″-Disketten, entgegen der Atari ST- Version bot diese Variante keine Grafiken, zeigte allerdings einen mächtigen Parser, der dem Textadventurefan alles bot, was andere Parser vermissen liessen. The Pawn war das erste und einzige Spiel, dass Magnetic Scrolls jemals für den exotischen Computer veröffentlichte.Das gesamte Jahr 1986 nutzte Magnetic Scrolls für die Portierung des Spiels auf den Atari ST (und anderen Computern) und konnte einen Achtungserfolg landen. Später erschienen Umsetzungen für den Amiga, Amstrad CPC, Amstrad PCW, Apple II, Acorn Archimedes, C64, Sinclair Spectrum, Apple Macintosh und für die gesamten Atari 8bit- Modelle. Besonders die Amigaversion war einzigartig, bot sie die ersten digitalisierten Samples für die Titelmusik überhaupt. Zu diesem Zeitpunkt war der Amiga der einzige Computer, der dazu überhaupt fähig war.
1987 kehrte Steggles zum Unternehmen zurück, ursprünglich jedoch nur, um ein Empfehlungsschreiben zu erhalten, da Steggles sich für einen Job bewarb. Anita Sinclair fragte ihn jedoch, ob er nicht viel lieber Interesse hätte für Magnetic Scrolls zu arbeiten, das nun in ein neues Büro in London Bridge umgesiedelt hatte. Die Verkäufe seines Szenarios Guild of Thieves, das vor kurzem auf den Markt kam, waren ausserordentlich gut und Steggles akzeptierte. Sofort begann er mit seiner Arbeit an Corruption, allerdings stellte das Unternehmen zuvor noch Jinxter fertig, ein Spiel, dessen Entwicklerin auch Georgina Sinclair, die Schwester von Anita Sinclair, war. Georgina hatte sich bereits zuvor mit dem Roman A Tale of Kerovnia einen Namen gemacht. Jinxter war erneut ein Fantasy-Adventure und spielte in Aquitania, einer Welt, die starke Ähnlichkeiten mit dem England des frühen 20. Jahrhunderts hatte. Vor allem blieb der exzentrische Humor den meisten Spielern in Erinnerung, der sich schon in den Spielortbeschreibungen zeigte, die nun deutlich ausführlicher waren.
Allerdings war der unausweichliche Tod des Spielers für viele ein Wermutstropfen. Jinxter festigte den guten Ruf des Unternehmens und zeigte, dass Magnetic Scrolls keineswegs ein One Hit Wonder war und war auch die Antwort des Unternehmens auf das Textadventure Enchanter von Infocom. Problematisch waren jedoch die hohen Kosten für die Produktion von Jinxter, die das Spiel nicht profitabel werden lassen konnten.
Mit Corruption stellte Magnetic Scrolls ihr erstes Adventure fertig, das nicht in einer Fantasywelt spielte, sondern in der Welt der Hochfinanz und eben Korruption, wie der Name schon sagt. In den Verkaufszahlen rangierte Corruption auf dem gleichen Platz, wie Jinxter zuvor, allerdings waren die Produktionskosten deutlich geringer und das Spiel erwirtschaftete einen guten Gewinn. Kurz nach der Veröffentlichung des Spiels war auch schon das nächste Spiel in der Warteschleife: Fish! spielte in einer Unterwasserwelt, die von einer terroristischen Gruppe namens Seven Deadly Fins bedroht wurde. Wieder war Magnetic Scrolls in eine Fantasywelt abgetaucht. Entgegen der bisherigen Entwicklung war diesmal John Molley, ein alter Freund von Ken Gordon aus seiner Zeit bei Apple, für die Produktion verantwortlich, gemeinsam mit Richard Huddy und Bob Coles. Allerdings engagierte sich auch Steggles, der die Texte des Spiels auf den hohen Standard des Unternehmens führte.
Während der letzten Feinschliffe begannen die Arbeiten an Wonderland, zuvor erschien jedoch noch Myth, das im alten Griechenland spielte. Wieder wurden alle wichtigen Computer bedient und zahlreiche Computer mussten nicht erst auf verspätete Konvertierungen warten. Allerdings war das Spiel nur in limitierter Auflage für Mitglieder des Official Secrets Adventure Club gedacht und war deutlich kürzer als alle bisherigen Spiele des Unternehmens.
Wonderland selbst schien den gleichen Weg wie Jinxter zu gehen und wurde von einem erheblich größerem Team entwickelt. Nach Steggles Meinung war dies absolut unnötig, denn der Parser war potent genug, das Adventure stemmen zu können, doch die Entwicklungsabteilung, schien, nach seinen Worten “das Rad neu erfinden zu wollen”. Ken und Doug arbeiteten gemeinsam monatelang an einem Parser, der mittels Fenstertechnik bedienbar sein sollte (Magnetic Windows Engine). Paul Findley, der zuvor Myth entwickelt hatte, bastelte an Animationstechniken für die bisher statischen Bilder. Statt jedoch die notwendige Technik vorgefertigt von einem anderen Unternehmen zu lizensieren, versuchte man mit allen Mitteln einen eigenen Weg zu gehen und verteuerte die Entwicklung erheblich. David Bishop arbeitete an den gesprochenen Texten der Charaktere und Wonderland schien das ambitionierteste Projekt des Unternehmens zu werden. Die Vorlage selbst, Alice im Wunderland, erforderte auch ein akkurates Arbeiten, war das Buch den meisten Spielern durchaus bekannt.
Rob Steggles, der seit den Anfangstagen dabei war, konnte sich dem Hype, bezüglich Wonderland, nicht anschliessen und wollte zudem auch andere Projekte wagen. Aus einer anfangs harmlosen Unterhaltung, die eigentlich eine Gehaltserhöhung beinhalten sollte, wurde nach kurzer Zeit eine lebhafte und hitzige Diskussion und Steggles verließ im Dezember 1988 entnervt das Büro und Magnetic Scrolls.
Es sollte noch zwei Jahre dauern, bis das Spiel einen finalen Status besaß. Magnetic Scrolls selbst konnte das Projekt nicht mehr stemmen und Virgin Interactive kam mit an Bord. Das Spiel galt als Meilenstein des Textadventures und war die letzte Regung eines schon toten Genres. Zwar sollte die neue Technik des Spiels alle Möglichkeiten ausschöpfen, das Problem war jedoch nicht die Technik, sondern das Konzept des Textadventures. Maniac Mansion, Zak McKracken, Indiana Jones III, Space Quest oder Kings Quest, diese Spiele zeigten den Weg der Adventures auf. Wonderland verkaufte sich aus diesem Grund äusserst schlecht.
Virgin Interactive veröffentlichten 1991, unter dem Namen The Magnetic Scrolls Collection Vol. 1, noch einmal The Guild of Thieves, Corruption und Fish!, jedoch mit dem technischen Unterbau von Wonderland: der Magnetic Windows Engine. Ein weiterer Teil mit den restlichen Adventures wurde zwar angekündigt, kam jedoch nie auf den Markt. 1992 war der Textadventure-Markt endgültig tot und Magnetic Scrolls stellte daraufhin sämtliche Arbeiten ein. Ein Jahr später, 1993, übernahm Microprose das Unternehmen. Ein Teil der ehemaligen Angestellten arbeiteten für Microprose an The Legacy: Realm of Terror. Ansonsten nutzte Micrprose den Namen Magnetic Scrolls nie für eigene Zwecke oder veröffentlichte jemals Spiele unter diesem Namen. Einer der Gründe möglicherweise, warum Microprose später selbst in finanzielle Schieflage geriet.
(Quelle: Historycorner.de)