Graftgold Ltd.
Graftgold war ein unabhängiges Softwareunternehmen aus England, einer Hochburg der damaligen 8-Bit-Computer. Steve Turner, der Gründer des Unternehmens, arbeitete zuvor für etliche Firmen als Programmierer und schuf dort maßgeschneiderte Programme, die den Mitarbeitern das arbeiten erleichtern sollte. Doch Steve wollte mehr, er wollte die Möglichkeiten des neuen Mediums aufzeigen und die Anwender sollten erkennen, dass der Computer auch mehr konnte, als ein Arbeitstier zu sein. 1982 war seine Entscheidung so weit gereift, dass er seinen Job kündigte und als freiberuflicher Spieleentwickler das Unternehmen ST Software gründete. Die ersten Entwicklungen basierten auf Turners Idee echtes 3D auf Computern zu realisieren.
1989 | Rainbow Islands | Action |
1990 | Super Off Road | Racing |
1990
|
Paradroid 90 Simulcra |
Action Action |
1991 | Realms |
Strategie |
1992 | Fire & Ice |
Action |
1993 | Uridium 2 Nipper Versus The Kats |
Action Jump&Run |
1994 1995 |
Empire Soccer 94 Virocop |
Sport Action |
Die erste Aufgabe von Andy bestand somit darin, Steves Spiele auf den Dragon 64 zu portieren. Diese Portierungen waren jedoch der erste Rückschlag des Esszimmerunternehmens, da Dragon kurze Zeit später die Produktion und den Verkauf der Dragon-Computer einstellte. Obwohl eine große Anzahl dieser Computer im Umlauf war, gingen auch die Softwareverkäufe drastisch zurück, da niemand auf einem System sitzenbleiben wollte, das keine Zukunft hatte. Nur einige hundert Kopien konnte Graftgold verkaufen. Steve und Andrew lernten jedoch aus dieser Erfahrung. Sie wussten nun, dass es wichtig war, vor der Entwicklung auf das richtige System zu setzen. Allerdings gestaltete sich die Suche nicht so einfach, wie es im Rückblick, aussah. Zu dieser Zeit war der Markt überfüllt mit etlichen Computersystemen und noch war nicht ersichtlich, welcher Computer das Rennen machen würde. Es zeigte sich jedoch ein kleiner Trend zugunsten des Commodore C64 und beide entschieden sich auf dieses System zu setzen.
Bevor jedoch die Entwicklung weiterer Spiele beginnen konnte, programmierten beide zahlreiche Grafikeditoren und andere Hilfsmittel, die die Arbeit erleichtern sollten. Noch immer konvertierten sie die Spiele mittels des Hexeditors um. Dies sollte sich aber bald ändern und Graftgold war es, mit der Zeit, auch möglich, bestimmte Speicherblöcke aus dem Programmcode auszulesen und diese dann, während des Spiels, direkt zu modifizieren. Dies half bei der Verbesserung bestimmter Spielpassagen ungemein. Aber auch die Fehlersuche konnte damit erheblich verkürzt werden.
Hewson bedrängte, im Gegensatz zu anderen Publishern (vor allem in der heutigen Zeit), die beiden nie bei der Entwicklung von Spielen und ließ ihnen jegliche kreative Freiheit, die dann zu Meilensteinen wie Avalon und Paradroid führte. Paradroid war ein gänzlich neues Konzept, im Gegensatz zu den Spielen in dieser Zeit. Der Spieler steuerte einen kleinen Roboter, der Frachtschiffe, die von feindlichen Robotern übernommen wurde, wieder von diesen säubern musste. Zu diesem Zweck besaß der Roboter die Fähigkeit sich, mit einem Logikspiel, mit anderen Robotern zu verbinden und diese zu übernehmen, inklusive der Fähigkeiten, die jedes Modell besitzt.
Von ihren Einnahmen verblieb der größte Teil innerhalb des Unternehmen, um auch in Zukunft genügend Reserven zu haben, um weitere Spiele zu produzieren. Besonders die Spiele von Andrew Braybrook (wie beispielsweise Paradroid) verkauften sich ausserordentlich gut und zahlreiche Portierungen auf andere Systeme wurde gefertig, allerdings nicht von Graftgold direkt, da sie sich lieber auf die Entwicklung neuer Spiele konzentrieren wollten. Jedoch war dies, nach Aussagen von Steve Turner, ein Fehler gewesen. Graftgold vergab die Portierungen auf andere Systeme an Unternehmen, die zumeist eine schlampige und lieblose Umsetzung entwickelten, die den Qualitätsansprüchen von Steve nicht gerecht wurden, besonders, da zu dieser Zeit die Computerspieleindustrie begann aus den Hinterhöfen heraus zu kommen und ein professioneller Markt sich zu etablieren begann. Spiele verkauften sich nicht mehr nur durch Spielwitz und Orginalität, sondern durch aggressive Werbung in den Medien.
Zwar dominierten noch der Sinclair Spectrum und der Commodore C64, also jene Computer, auf denen Graftgold ihre Titel selbst entwickelte, allerdings begannen der Atari ST und der Amiga ihren Siegeszug durch die Wohn- und Kinderzimmer Europas. Dies fiel in erster Linie bei den Computerspielmagazinen auf, die immer mehr Platz den 16-bit-Systemen gaben, auf Kosten der “8-bitter”. Deren Zeit lief langsam ab. Problematisch wurde es in diesem Zusammenhang für die Publisher, weniger für die Entwickler, wie Graftgold. Steve und Andrew waren begeistert die neue Technik auszuprobieren und die Grenzen auszuloten. Hewson, ihr Publisher, hatte sich auf den alten Systemen ausgeruht und spührten nun den Untergang dieses Marktes, der zwar noch vorhanden war, aber deutlich einbrach. Sie konnten als Publisher erst den Schritt riskieren, wenn sich der neue Markt völlig etabliert hatte, zu groß wären sonst die Risiken, wenn Amiga oder Atari ST sich schlussendlich doch nicht durchsetzen würden. Daher trat Hewson mit der Bitte an Graftgold, einige Low-Budget-Spiele zu produzieren, um diese Phase der Marktentwicklung einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Für Graftgold bedeutete das, entweder alle vier Wochen ein Spiel zu entwickeln oder aber Killerapplikationen zu kreieren, die sich mindestens 100.000 mal verkaufen würden. Steve und Andrew war jedoch klar, dass keine der Möglichkeiten für ihr kleines Unternehmen machbar wären. Zwar verkauften sie Spiele für den Sinclair Spectrum durchaus erfolgreich, aber jedes neue Spiel für das System wurde in geringenen Einheiten verkauft. Zudem wurde die Entwicklung der Spiele immer zeitaufwendiger, da die Anwender immer aufwändigere Spiele sehen wollten. Eine Entwicklung, die noch bis heute andauert.
Und letztlich passierte es. Steve Turner programmierte an einer Fortsetzung seines Erfolges Quazatron, während Andrew Braybrook die letzten Designänderungen an Morpheus tätigte, als die Bombe platzte: Hewson war in Schwierigkeiten. Dies erfuhren sie jedoch zu Beginn nicht durch Hewson oder andere offizielle Kanäle, vielmehr waren es zwei Programmierer, die das Unternehmen verliessen, nachdem die finanziellen Probleme nicht mehr wegzudisskutieren waren. Sie riefen bei Steve an und fragten ihn, ob er Interesse hätte sie beide unter Vertrag zu nehmen. Dieser nahm das Angebot an und Graftgold verdoppelte dadurch seine Mitarbeiterzahl augenblicklich. Jedoch war es nun nicht mehr möglich, zu viert im Esszimmer zu programmieren. Es folgte der Umzug in ein kleines Büro in Witham, direkt über einem Gemüsehändler.
Doch waren die beiden “abtrünnigen” Deisgner nicht die einzigen Personen, die Steve vor Hewsons Probleme warnten. Auch Debbie Silletoe, damalige Nummer 2 bei Hewson informierte, kurz nach ihrem Wechsel zu British Telecomsoft, Graftgold über den baldigen Absturz des Publishers. Im gleichen Atemzug bewarb sie ihr neues Unternehmen als potentiellen Nachfolger und Turner wechselte, nach einigen Überlegungen, somit den Publisher. Hewson war über diesen Schritt nicht sonderlich begeistert und verklagte Graftgold auf die Auslieferung zweier Spiele unter ihrem Namen. Da Hewson Steve Turner jedoch bisher nicht bezahlt hatte, sah sich dieser keiner Schuld bewusst. Ein Gericht sollte das Dilemma klären, allerdings konnten sich British Telecomsoft und Hewson aussergerichtlich einigen.
Dennoch konnte das kleine Unternehmen überleben, programmierten sie für Virgin Interactive die 8- und 16-bit-Portierungen des Automatenhits Off Road Racer. Für Entwicklungsstudios waren Konvertierungen zu dieser Zeit eine exzellente Möglichkeit Geld zu verdienen: man riskierte keine Neuentwicklung, die durchaus Flops werden konnten. Stattdessen besaß man einen zugräftigen Namen und musste zudem das Spiel nicht vertreiben, dies alles erledigte der Auftraggeber. Problematisch war nur, das keine weiteren Einnahmequellen durch den Verkauf zustande kamen, was Graftgold aber wollte. Daher kauften sie das Realms Projekt von Activision zurück und boten es Virgin an. Das Unternehmen war interessiert und schlug zu. Virgin unterstützte sie bei der Entwicklung. Das Spiel war ein mittelmäßiger Erfolg im Verkauf, brachte Graftgold jedoch wieder zurück in die Gewinnzone.
Graftgolds erste Auftragsarbeit war damit Ottifant (die Comicfigur des deutschen Komikers Otto Waalkes) und Graftgold sollte das komplette Spiel entwickeln. Die Ottifanten sollten ursprünglich in ganz Europa im Fernsehen ausgestrahlt werden und das Unternehmen hätte somit eine Werbeikone, die die Verkaufszahlen fördern sollte. Allerdings waren die meisten Fernsehanstalten nicht daran interessiert. Sega gab ihnen ein Zeitfenster von drei Monaten, um noch vor Sonic ein Jump ‘n’ Run auf dem Sega Mega Drive anbieten zu können. Allerdings dauerten die Verhandlungen mehr als einen Monat und konnten damit nicht für die Entwicklung genutzt werden, da eine Entwicklung vor der Vertragsunterzeichnung Schwierigkeiten mit sich brachte, denn Änderungen kamen immer wieder vor und machten jegliche Vorarbeit zunichte.
Steve und Andrew konzentrierten sich nun in erster Linie auf den Amiga und nebenbei für den PC. Andrew Braybrook stellte Uridium 2 her, einen Nachfolger seines großen C64-Erfolges, nachdem seine Portierung von Fire&Ice für das Commodore CD32 ebenfalls nicht veröffentlicht wurde. Doch mit Virus Alert entstand das letzte Spiel für die “Freundin” von Graftgold, zwar begann man noch die Arbeiten an einem Motocross-Spiel, jedoch wurden die Arbeiten zugunsten der PC-Version aufgegeben: der Amiga war für Renegade und Graftgold gestorben.
In dieser Zeit begannen die Entwicklungen zunehmend professioneller zu werden, was auch die Kosten explosionsartig vergrößerte. Hauptursache waren die Kosten für CDs, dem neuen Format, das nun Datenträger Nummer 1 wurde. Nicht nur das Pressen der Werke kostete weitaus mehr, als Diskettenversionen, vielmehr konnten sich Grafiker und Soundspezialisten austoben und die meisten Spiele wuchsen in der Speichergröße inflationär. Verbrauchte zuvor ein Spiel zwei Megabyte, wurden daraus schon bald 20 MBytes. Die Kosten verzehnfachten sich dadurch. Professionelle Silicon Graphics Workstations waren zuständig für In-Game-Videos und wurden zur Norm. Zu dieser Zeit begann auch die Playstation ihre Erfolgsgeschichte.
Graftgold arbeitete derweil an einem weiteren Spiel, zeigte dies nun jedoch nicht Renegade, sondern ging damit direkt zu Warner und legte mit der spielbaren Demo das gesamte Unternehmen lahm. Dies lag nicht an einem Bug oder Virus, vielmehr wollte jeder das Spiel sehen. Mehr brauchte der Vorstand nicht, um das Spiel und die Mannschaft sofort unter Vertrag zu nehmen. Es wurde das ambitionierteste und teuerste Projekt von Graftgold. Zusätzliche Mitarbeiter wurden eingestellt und die ersten Monate erschienen immer weitere Betaversionen. Das Spiel schien auf dem richtigen Weg zu sein, jedoch nicht Warner Interactive. Wie schon so oft zuvor in der Geschichte von Graftgold, überdachte der Publisher seine Situation innerhalb der Softwarebranche und setzte den Rotstift an, um Kosten zu sparen. Ausgerechnet das Spiel, dass bei Warner alle verzückte, fiel den Kürzungen zum Opfer.
Für Steve Turners Firma bedeutete dies einen schweren Schlag und nur mit Mühe konnte er das Schiff vor dem sinken bewahren, vor allem durch einen Vertragsabschluss mit Acclaim für die Portierung von Rainbow Island, einem jahrealten Spiel, auf die Playstation und der Sega Saturn. Eine weitere Portierung schlug jedoch, aufgrund von Lizenzproblemen, fehl und erneut kämpfte Graftgold ums nackte überleben. Das monatliche Einkommen der Programmierer reichten, um das Unternehmen über der Wasserkante zu halten, allerdings genügte es nicht annähernd für eine neue Entwicklung. Zwar war Motox, auf das alle Hoffnungen ruhte, bereits seit sechs Monaten fertig, jedoch wollte Warner Interactive immer wieder Updates und kleinere Veränderungen, da der Markt nur hochwertige und perfekte Spiele verlangte und die Publisher nicht wagten, andere Spiele auf den Markt zu bringen. Als jedoch dem Publisher klar wurde, dass Graftgold kurz vor dem Aus stand und sie dann überhaupt kein Produkt besitzen würden, überreichten sie Steve erneut einen Scheck, kurz bevor Warner selbst verkauft wurde. Nun war Geld vorhanden (wenn auch nicht viel), aber kein Publisher, da die alten Verträge aufgelöst wurden. Jedoch konnte der neue Eigentümer davon überzeugt werden, unter dem Label Warner das Spiel doch noch auszuliefern, allerdings wurden keinerlei besondere Werbefeldzüge gestartet. Dennoch verkaufte sich International Moto X recht erfolgreich. Steve Turner fragte sich später noch , was aus dem Spiel wohl geworden wäre, wenn die Verantwortlichen die richtige Marketingkampagne gestartet hätten. Obwohl mehr hätte verkauft werden können, wurde das Spiel das gewinnträchtigste Produkt Graftgolds.
Dennoch ging es dem Unternehmen schlecht: die Produktion eines Spiels für das Unternehmen Coconut dauerte länger als angenommen und Coconut drosselte, ganz nach Vertrag, die monatlichen Überweisungen. Steve hatte keine andere Möglichkeit, als die meisten Mitarbeiter zu entlassen und nur noch eine Rumpfcrew überleben zu lassen. Jedoch kam ihm erneut das Glück ins Haus, diesmal durch das Telefon, als der Managing Director von Perfect anrief, einem Unternehmen, das zu dieser Zeit mit der Software-Adaptierung der Scheibenwelt-Romane sehr erfolgreich war. Sie interessierten sich für Graftgold und waren bereit Graftgold aufzukaufen. Des weiteren besaß Perfect genügend finanzielle Mittel, um weitere Produkte entwickeln zu lassen.
Nachdem der Aufkauf vorüber war, setzte sich der neue Eigentümer mit Coconut in Verbindung und übernahm selbst die Entwicklung des Spiels. Sämtliche Mitarbeiter wurden, mit Ausnahme eines Grafikkünstlers, von diesem Projekt abgezogen. Perfect startete das Projekt nocheinmal und es dauerte zwei Jahre, bis das Spiel unter dem Namen Hardcops endlich veröffentlicht wurde. Obwohl so viel versprochen wurde, blutete das kleine ehemalige Esszimmerunternehmen aus. Viele Neuentwicklungen wurden seitens Perfect aufgeschoben oder gleich wieder eingestellt. Graftgold hörte 1998 endgültig auf zu existieren.
Steve Turner arbeitet noch immer in der IT-Branche, während Andrew Braybrook, der geniale Schöpfer zahlreicher Amigaspiele, nun für eine britische Versicherungsgesellschaft arbeitet. Die Spielezeit scheint vorbei, auch wenn sich Steve Turner, vor kurzem, geäussert hatte, dass es nun auch leichter für ihn sei, da er nun, statt 80 Stunden pro Woche, nur 37 arbeiten müsse und keine Sorgen habe, wie es weitergehen würde. Auch Spieleentwickler werden erwachsen.